Mit Beschluss vom 13. März 2025 (Az. 2 StR 232/24) hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Ermittlungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen den Finger eines Beschuldigten zwangsweise auf ein Smartphone legen dürfen, um dieses per Fingerabdruck zu entsperren. Eine Entscheidung mit erheblicher praktischer Tragweite – und nicht minder erheblichem rechtsstaatlichem Konfliktpotenzial.
Der Fall und die Entscheidung des BGH
Im Zentrum der Entscheidung stand ein Ermittlungsverfahren wegen Besitzes kinderpornografischer Inhalte. Im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung wurden mehrere Mobiltelefone beschlagnahmt. Da der Beschuldigte sich weigerte, diese freiwillig zu entsperren, legten Ermittlungsbeamte seinen Finger unter Anwendung unmittelbaren Zwangs auf den Sensor eines Smartphones. Die daraufhin erhobenen Beweise führten später zur Anklage und Verurteilung.
Der BGH billigte dieses Vorgehen ausdrücklich: Die Maßnahme sei durch § 81b Abs. 1 StPO gedeckt, der „ähnliche Maßnahmen“ neben Lichtbildern und Fingerabdrücken zulasse. Die zwangsweise Entsperrung stelle nach Ansicht des Gerichts keine unzulässige Selbstbelastung dar, da sie keine aktive Mitwirkung des Beschuldigten verlange.
Zweifel an der Rechtsgrundlage
Die Entscheidung des BGH ist juristisch umstritten. § 81b StPO erlaubt die Erhebung biometrischer Merkmale „zur Durchführung des Strafverfahrens“ – allerdings mit dem Ziel, eine Identifizierung des Beschuldigten zu ermöglichen. Eine Verwendung zur Entsperrung technischer Systeme ist im Wortlaut der Norm nicht angelegt und wurde vom Gesetzgeber auch bislang nicht vorgesehen.
Die Fachliteratur ist in dieser Frage gespalten. Während Rottmeier/Eckel (NStZ 2020, 193, 195 f.) eine technikoffene Auslegung befürworten, lehnen Nadeborn/Irscheid (StraFo 2019, 274), Neuhaus (StV 2020, 489) und Grzesiek/Zühlke (StV-S 2021, 117) den Rückgriff auf § 81b StPO zur Durchbrechung biometrischer Sperren ab. Kern der Kritik: Die Norm bezweckt die Identifikation – nicht die Entschlüsselung. Auf die Kritik wurde hier im Blog bereits hingewiesen.
Verhältnismäßigkeit vs. Rechtsklarheit
Die Instanzrechtsprechung – etwa das OLG Bremen (Az. 1 ORs 26/24) und das LG Ravensburg (Az. 2 Qs 9/23 jug.) – stützt sich ebenfalls auf § 81b StPO. Beide Gerichte betonen, dass eine technikoffene Anwendung nötig sei, um die Strafverfolgung nicht ins Leere laufen zu lassen. Die faktische Möglichkeit, durch Fingerabdruck Zugriff auf immense Datenmengen des Beschuldigten – frei nach dem Motto “Finger drauf und Handy auf!” – zu erhalten, sei ein legitimes Ziel.
Doch diese Argumentation ignoriert ein zentrales rechtsstaatliches Prinzip: Eine Maßnahme, die einen schwerwiegenden Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung ermöglicht – wie der Zugriff auf verschlüsselte private Daten –, bedarf einer klaren, spezifischen gesetzlichen Grundlage. Das ist derzeit nicht gegeben.
Zudem handelt es sich bei der Entsperrung um eine zweistufige Maßnahme: Erst erfolgt die technische Entsperrung des Geräts, dann die Auswertung der Daten. Der Übergang von Identifikations- zu Beweiserhebungsmaßnahme ist juristisch nicht trivial – und kann nicht durch eine analoge oder erweiterte Auslegung von § 81b StPO überbrückt werden.
Rechtspolitische Einordnung
Die Entscheidung mag praktisch erscheinen, da sie Ermittlungsbehörden in der digitalen Beweiserhebung entlastet. Doch sie operiert an den Grenzen des rechtlich Zulässigen. Das Analogieverbot des Strafrechts – auch wenn im Strafprozessrecht nicht uneingeschränkt anwendbar – verlangt Zurückhaltung bei der Erweiterung belastender Eingriffsgrundlagen.
Dass persönliche Daten nicht denselben rechtlichen Status wie offen zugängliche Inhalte haben, ist nur unzureichend reflektiert worden. Wer verschlüsselte Kommunikation schützt, muss auch die Schwelle für staatlichen Zugriff hoch ansetzen.
Fazit: Technische Realität trifft unklare Rechtslage
Die Fingerentsperrung durch Zwang ist nach derzeitiger Gesetzeslage allenfalls „auf Kante genäht“. De lege lata fehlt eine klare, explizite Rechtsgrundlage. Der Rückgriff auf § 81b StPO als Ermächtigung für den Zugriff auf biometrisch verschlüsselte Inhalte ist zweifelhaft und verkennt Zielrichtung und Systematik der Norm.
Die Entscheidungen des BGH schafft Klarheit für Ermittlungsbehörden – aber keine tragfähige Lösung. Es fehlt weiterhin an einer gesetzlich klar geregelten Ermächtigung für die zwangsweise biometrische Entsperrung digitaler Endgeräte.
Eine Reform wäre daher dringend geboten. Der Gesetzgeber muss den Konflikt zwischen effektiver Strafverfolgung und digitalen Grundrechten auflösen – nicht die Gerichte durch teleologische Konstruktionen. Bis dahin gilt: Ermittlungsbefugnisse dürfen nicht auf Lücken im Gesetz gebaut werden.
- BGH zur Smartphone-Entsperrung per Fingerabdruck – Finger drauf und Handy auf! - Mai 27, 2025
- Stärkung der Cybersicherheit in Unternehmen: Das neue NIS-2-Umsetzungsgesetz - Mai 25, 2023
- Landgericht Ravensburg: Nutzung von Fingerabdrücken zur Entsperrung beschlagnahmter Mobiltelefone ist rechtmäßig - Mai 15, 2023