Die Online-Durchsuchung als „digitale Allzweckwaffe“ – Zur Kritik an überbordenden Ermittlungsmethoden

Hinweis auf Zeitschriftenbeitrag: Grzesiek/Kruse in Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 4/2017, Seite 331 – 350

Zusammenfassung

Der Alltag wird zunehmend von informationstechnischen Systemen aller Art beeinflusst. Tablets und Smartphones sind zum festen Bestandteil des täglichen Lebens geworden. Sie dienen nicht nur der Kommunikation, sondern auch der Organisation der privaten und beruflichen Lebensführung.

Die Ermittlungsmaßnahme der Online-Durchsuchung nach § 100b StPO versucht nunmehr der Verlagerung von Kommunikationswegen und der Erfassung und Aufbewahrung von Daten auf informationstechnische Systeme zu begegnen und wirft damit einerseits Fragen zur technischen Möglichkeiten sowie zur konkreten Umsetzung auf. Anderseits steht § 100b StPO im Fokus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welches sich bereits zu den Grenzen der Zulässigkeit einer Online-Durchsuchung positionierte. Dabei steht nicht nur die generelle Erhebung von Kommunikationsdaten im Mittelpunkt der Betrachtung.

Mit der Online-Durchsuchung soll der vollständige Zugriff auf informationstechnische Systeme ermöglicht werden. Neben dem mit dem Abschöpfen und Auslesen von persönlichen Daten verbundenen Eingriff in das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme droht ein unkontrollierbarer Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung, da informationstechnische Systeme unter anderem auch die audiovisuelle Wahrnehmung der Umgebung ermöglichen. Darüber hinaus sind die Hürden für eine Online-Durchsuchung im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kritisch zu würdigen.

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Abstract

Information technologies increasingly influence our everyday lives. Tablets and smartphones have become an integral part of our daily lives. They do not only serve as means of communication but are also used to organize private and professional lives. The remote search as an investigative measure under section 100b of the German Code of Criminal Procedure now tries to address the shift of communication as well as data collection and retention towards information technology. On the one hand, it thereby raises questions concerning the technical possibilities and the concrete application. On the other hand the jurisprudence of the German Constitutional Court focuses on section 100b of the German Code of Criminal Procedure and has already taken a view regarding the admissibility of remote searches. The focus is not only on the general collection of communication data. The remote search aims at enabling full access to information technology systems. Besides the infringement of the fundamental right to confidentiality and probity in information technology systems caused by the collecting and retrieving of personal data, the threat of an uncontrollable infringement to the core area of a person’s private life exists due to information technology systems among other things enabling audiovisual perception of the environment. Furthermore, the obstacles to remote search are to be critically evaluated in the light of the jurisprudence of the German Constitutional Court.

Dr. Mathias Grzesiek
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Posted by Dr. Mathias Grzesiek

Dr. Mathias Grzesiek ist Partner der auf Wirtschafts- und Steuerstrafrecht spezialisierten Kanzlei Rosinus | Partner Rechtsanwälte PartG mbB in Frankfurt/M. Er berät und verteidigt nationale und internationale Unternehmen sowie Privatpersonen in allen Fragen des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts. Neben seiner Anwaltstätigkeit ist er Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

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[…] Anmerkung: Die Durchführung der „klassischen“ Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO wird von der Staatsanwaltschaft beantragt. Sie setzt gem. § 100e Abs. 1 StPO grundsätzlich eine richterliche Anordnung voraus (Richtervorbehalt). Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung auch allein durch die Staatsanwaltschaft getroffen werden. Sie tritt jedoch außer Kraft, sofern sie nicht binnen drei Werktagen gerichtlich bestätigt wird. Im hiesigen Fall hat die Ermittlungsbehörde den Sachverhalt, welcher Grundlage der Entscheidung des Ermittlungsrichters ist, falsch dargestellt. Hierdurch kam es zu einer gerichtlichen Entscheidung, die auf unrichtigen Tatsachen beruhte. Das Amtsgericht München erblickte hierin einen Verfahrensverstoß (Beweiserhebungsverbot), der zu einem Beweisverwertungsverbot führte. Die Entscheidung des AG München ist aus rechtsstaatlicher Sicht begrüßenswert. Da § 100e Abs. 1 StPO sich auf alle Maßnahmen nach den §§ 100a bis 100c StPO bezieht, gilt die Unverwertbarkeit von Ermittlungsergebnisse, die auf einer irrtumgsbedingten richterlichen Anordnung beruhen, ebenso für die Quellen-TKÜ nach § 100a Abs. 1 S. 2 u. 3 StPO sowie für die Online-Durchsuchung nach § 100b StPO. […]

[…] Delikte, wie es bspw. die Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 2 StPO oder die Online-Durchsuchung nach § 100b Abs. 2 StPO vorsehen, ist dem Entwurf nicht zu entnehmen. Ob von der Verordnung auch […]

[…] Fall ordnete das Amtsgericht Stuttgart auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß §§ 100a, 100b StPO die Sicherung, Spiegelung und Herausgabe aller Daten, die auf den Servern des Betreibes bezüglich […]