Dürfen Gefangene in der JVA Laptops nutzen?

Dürfen Gefangene in der JVA Laptops nutzen?

Nach landläufiger Ansicht sollen Häftlinge in der Justizvollzugsanstalt von der Außenwelt abgeschnitten werden und über ihre Tat nachdenken.

Aber ist diese Annahme richtig? Umfasst eine Haftstrafe tatsächlich eine ausnahmslose Vorenthaltung von Medien? Dies ist mit Nichten der Fall.

In Art. 5 Abs. 1 GG heißt es: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ Der Zugang zu Medien ist folglich das Grundgesetz geschützt. Das Recht findet auch in den Strafvollzugsgesetzen der Länder seine einfachgesetzliche Ausprägung. In Hessen[1], Nordrhein-Westfalen[2] und Bayern[3] ist der Zugang zu Medien des Hör- und Rundfunks grundsätzlich gestattet und dort jeweils unter dem Titel Freizeit gelistet. In Nordrhein-Westfalen[4] können sogar „sonstige Geräte“ zulässig sein, sofern es mit keinem erhöhten Kontroll- und Sicherheitsaufwand verbunden ist. Auch Inhaftierte soll damit Zugriff auf Medien ermöglicht werden. Jedoch wird das Recht nicht schrankenlos gewährt, denn die Sicherheit und Ordnung der Vollzugsanstalt darf hierunter nicht leiden.

Wie ist der Fall zu bewerten, wenn ein Häftling einen Laptop nutzen möchte, um sich für die Hauptverhandlung vorzubereiten? Haben Häftlinge dann einen Anspruch auf die Nutzung eines Laptops im Strafvollzug? Dieser letzten Frage nahm sich das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2019 für eine Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen aus Bayern an (BVerfG, 27.3.2019 -2 BvR 2268/18, RDV 2019, 190 ).

Das bayerische Strafvollzugsgesetz sieht den Konsum von Medien in § 72 Abs. 1 BayStVollzG grundsätzlich vor, wenn sie der Fortbildung oder Freizeitbeschäftigung dienen. Dort heißt es:

„Gefangene dürfen in angemessenem Umfang Bücher und andere Gegenstände zur Fortbildung oder zur Freizeitbeschäftigung besitzen.“

Hiervon lässt das Gesetz in Absatz 2 aber Einschränkungen zu, denn selbstredend kann nicht jedes Medium in einer Haftanstalt uneingeschränkt zugelassen werden. Wie in Absatz 2 Nr. 2 BayStVollzG aufgeführt wird, sind solche Gegenstände zwar grundsätzlich erlaubt, mit Ausnahme davon aber,

„[…] wenn der Besitz, die Überlassung oder die Benutzung des Gegenstands die Erfüllung des Behandlungsauftrags oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden; eine solche liege in der Regel bei elektronischen Unterhaltungsmedien vor.“

Für das Bundesverfassungsgericht reiche eine abstrakte Eignung des Gegenstandes aus, um hiervon sicherheits- oder ordnungsgefährdende Verwendungen zu erwarten, sollte der Kontrollaufwand der JVA damit in nicht zumutbarer Weise erhöht werden (Rn. 4). Mit dem zweiten Halbsatz in § 72 Abs. 2 Nr. 2 BayStVollzG hatte auch das Landgericht Regensburg den Anspruch des Strafgefangenen abgelehnt. Auf einem Laptop ließen sich im Datenspeicher des Geräts in Form von Textinhalten Details und „Erkenntnisse über Fluchtwege, verbotene Außenkontakte, Aufstellungen über die Abgabe von Betäubungsmitteln an Mitgefangene und andere verbotene Beziehungen zwischen den Gefangenen [eingegeben werden können]“ festhalten, die sowohl bei der Nutzung von Anstaltscomputern, als auch bei privaten Laptops potenziell unkontrolliert unter Strafgefangenen ausgetauscht werden könnten (Rn. 6).

Zwar stellen besondere Gründe in der Person des Gefangenen einen Grund dafür dar, wieso dem „Interesse am Besitz“ höheres Gewicht zugemessen werden kann, jedoch sind auch hier die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit einzuhalten. Der erhöhte Kontrollaufwand ließe sich beispielsweise dann rechtfertigen, sofern der Strafgefangene ein komplexes Verfahren erwartet, sei letztlich aber kein „so außergewöhnliches Interesse“, dass es rechtfertige, dass an die Kontrolle eines Einzelnen höhere Anforderungen gestellt werden, als an diejenige von sämtlichen Strafgegangenen (Rn. 9).

Interessant dürfte auch die Anmerkung sein, dass der „Grundsatz der Waffengleichheit in gerichtlichen Verfahren nicht das Recht auf eine gleichwertige technische Ausstattung oder auf den Zugang zu einem Computer“ enthalte (Rn. 10). Zwar sieht das Gericht den generellen Vortrag des Strafgefangenen, der den prägenden Charakter moderner elektronischer Datenverarbeitung sowohl für das gesellschaftliche Leben, als auch unter Resozialisierungsgedanken für das Interesse an einem Zugang zu Computern anführt, „bedenkenswert“, hält ihn aber nicht geeignet allein deshalb legitime Sicherheitsbedenken auszuklammern, um einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Zugang „neuerer“ Medien im Strafvollzug zu gewähren (Rn. 11).

Letztlich stellt das Bundesverfassungsgericht mit Hinweis auf eine Entscheidung des EGMR (Kalda v. Estonia v. 19.01.2016 – 17429/10) noch fest, dass dieser den Internetzugang eines Strafgefangenen im Lichte der „gesteigerte[n] Bedeutung der neuen Medien im heutigen Alltag betont“, jedoch auch hier keine Pflicht der jeweiligen Vertragsstaaten besteht, Strafgefangenen den Internetzugang mithilfe neuer Medien zu ermöglichen (Rn. 12).

Der Strafgefangene hatte es laut Bundesverfassungsgericht auch versäumt darzutun, wieso ihm die angebotene elektronische Schreibmaschine nicht genüge, da diese bereits eine Erleichterung bei der Anfertigung von Schriftsätzen bedeutet (Rn. 9).

Anmerkung zum Beitrag: „Das Internet und Medienstrafrecht 2019/2020“ von RA Timo Handel und wiss. Mitarbeiterin Theresa Rieth, erschienen in „Kommunikation & Recht“, Juni 2020, S. 409 – 417

Diese beschriebene Entscheidung des BVerfG sprechen Handel und Rieth in ihrem Beitrag „Das Internet und Medienstrafrecht 2019/2020“, erschienen in „Kommunikation & Recht“, Juni 2020, S. 409 – 417 u.a. an. In dem Beitrag führen die Autoren in strukturierter Weise durch aktuelle Entwicklungen des Internet- und Medienstrafrechts. Hierbei geben sie in prägnanter Weise ein Überblick über relevante Gesetzgebungsänderung und -vorhaben (I.). Weiter führt der Beitrag dann zwei relevante Bußgeldentscheidungen aus dem Jahr 2019 auf (II.), um abschließend mehrere Entscheidungen vorzustellen, die verstärkt im Fokus der juristischen Presseschau standen und bis heute stehen (III.). Hier werden vor allem die Künast-Beschlüsse ausführlich dargestellt (S. 413). Aber auch höchstrichterliche Rechtsprechung zu Themen wie „Meinungsfreiheit und historische Vergleiche mit nationalsozialistischer Praxis“ (BVerfGE v. 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17) oder dem Begriff des „Besitzes“ im Rahmen kinder- und jugendpornographischer Computerdateien (BVerwGE v. 11.09.2019 – 2 WD 26.18) finden in dem Beitrag Erwähnung.

Stellungnahme

Die Jahre 2019 und 2020 hielten viele Neuerungen im Bereich des Internet- und Medienstrafrechts bereit: Hate Speech, Kinderpornographie („Cybergrooming“) und der verstärkte Schutz von Geschäftsgeheimnissen sind nur einige Themen, die zum Schwerpunkt juristischer Aufsätze oder Gesetzesvorhaben wurden und Fortschritte gemacht haben. Mittlerweile ist es also erlaubt, als „Sondermüll, der entsorgt werden soll“ oder „Drecks Fotze“ bezeichnet zu werden. Oder doch nicht?[5] Das Internet ist zu einem El Dorado für öffentlichen „Meinungsaustausch“ geworden. Aber fernab jeglicher Polemik sind zahlreiche Gesetzesänderung, Rechtsprechungsentwicklungen und aufsehenerregende Verwaltungsentscheidungen ergangen, die das künftige Internet- und Medienstrafrecht wie eine Osmose diffundieren werden. Diese künftigen Änderungen sind zu begrüßen. So sollten die technischen Neuerungen, die das Internet und soziale Medien uns bieten, stets kritisch betrachtet werden, damit nicht wie im Mittelalter ein [digitaler] Pranger 2.0 ohne Konsequenzen vor unserer Nase stattfinden kann. Die gesetzgeberischen Neuerungen sind auch im Rahmen eines „Zuckerbrot und Peitsche“ Prinzips zu sehen. Wenngleich feststeht, dass das Internet in seiner Grenzenlosigkeit faktisch zwar unbegrenzte Möglichkeiten bietet, so sind rechtlich hieran angemessene Beschränkungen zu knüpfen, um auch der Durchsetzung grundrechtlicher Garantien Herr zu werden.

Die eingangs dargestellte Entscheidung dürfte wohl ein Wegweiser für die Rechte von Strafgefangenen bezüglich deren Verwendung von Computern sein. Aus Verteidigersicht bleibt jedoch kritisch zu hinterfragen, in welchem Umfang Abstriche bei der Nutzung moderner Medien dem Resozialisierungsgedanken zuwiderlaufen können, wenn der EGMR sogar betont, dass der Internetzugang für Strafgefangene aufgrund der neuen Medien eine gesteigerte Bedeutung erfährt.

Fußnoten

[1] § 30 Abs. 3 des Hessischen Strafvollzugsgesetzes (HStVollzG).

[2] § 51 des Gesetzes zur Regelung des Vollzuges der Freiheitsstrafe in Nordrhein-Westfalen (StVollzG NRW).

[3] § 72 Abs. 1 des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes (BayStVollzG).

[4] § 51 des Gesetzes zur Regelung des Vollzuges der Freiheitsstrafe in Nordrhein-Westfalen (StVollzG NRW).

[5] Das LG Berlin hat mit Beschluss vom 21.01.2020 – 27 AR 17/19 seine Entscheidung geändert und den Bezeichnungen „Schlampe“, „Drecks Fotze” oder „Drecksau“ den Charakter einer Formalbeleidigung beigemessen.

Posted by Kevin Klingelhöfer in IT-Strafrecht, Literaturempfehlung, Rechtsprechung
„Ich verschreibe Ihnen eine App“ – Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz-DVG)

„Ich verschreibe Ihnen eine App“ – Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz-DVG)

Apps auf Rezept, Videosprechstunden mit dem Arzt und hinzukommt, dass die Kosten von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden. Ein großer Schritt in Richtung Digitalisierung wird durch das DVG in Deutschland bald Realität.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betitelte diesen Digitalisierungsprozess als eine „Weltprämiere“.

Die Medizin auf dem Weg in eine digitale Zukunft

Dank dem neuen Digitalen-Versorgungs-Gesetz (DVG) können seit dem 01.01.2020 Gesundheits-Apps zur Unterstützung für beispielsweise Erinnerung der regelmäßigen Einnahme von Arzneimittel oder bei der Dokumentation von Blutzuckerwerten, vom Arzt verschrieben werden. Die Apps und auch ihre Anbieter werden vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukten (BfArM) auf Sicherheit, Qualität, Funktionstauglichkeit, Datensicherheit sowie Datenschutz geprüft und die Kosten für die Apps werden von den gesetzlichen Krankenkassen für ein Jahr übernommen. In dieser Zeit müssen die Hersteller bzw. Anbieter der Gesundheits-Apps beim BfArM einen Nachweis über die durch die App verbesserte Versorgung der Patienten erbringen. Durch die Einführung von E-Rezepten, elektronischen Patientenakten (ePA), elektronischen Arztbriefen soll der Digitalisierungsprozess im deutschen Gesundheitswesen vorangetrieben werden.

Datenschützer sind besorgt

Große Bedenken gibt es vor allem im Bereich des Datenschutzes. Damit die Forschung künftig Gesundheitsdaten besser nutzen kann, soll künftig eine zentrale Gesundheitsdatenbank geschaffen werden. Diese soll pseudonymisiert Abrechnungsdaten von 73 Millionen gesetzlich Versicherten beinhalten. Wer wann, wo und wegen welcher Krankheit bzw. Beschwerde beim Arzt war und welche Medikamente verschrieben oder Behandlungen durchgeführt worden sind, soll in dieser Datenbank gespeichert werden, jedoch sieht das DVG eine Widerspruchsmöglichkeit oder Löschfristen bezüglich der personenbezogenen Daten nicht vor. Kritiker sehen darin einen erheblichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Patienten und Patientinnen. Die Datenbank Verstöße gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und sensible Patientendaten gerieten in die Hand des Staates sowie aller Nutzungsberechtigten. Zudem sind von dem Gesetz nur gesetzlich Versicherte betroffen, das bedeutet, dass privatversicherte Patienten einen höheren Datenschutz genießen.

Fazit

Das DVG stellt einen weiteren und wichtigen Schritt in Richtung zur Digitalisierung des Gesundheitswesens dar. Da es sich bei Gesundheitsdaten um äußerst sensible “personenbezogene Daten” (i.S.v. Art. 14 Nr. 15 DSGVO) handelt, müssen die Anforderungen an den Schutz dieser Daten entsprechend hoch angesetzt werden. Neben der Schaffung der notwendigen rechtlichen Rahmenbedinungen, müssen auch angemessene technische Schutzmaßnahmen ergriffen und umgesetzt werden. Ob die Beteiligten hierzu imstande sind, bleibt abzuwarten.

Posted by Merve Celik in Datenschutz
Update: Anpassung des NetzDG bereits im April

Update: Anpassung des NetzDG bereits im April

Nach der Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung (SZ) hat das BMJV den geplanten Gesetzesentwurf zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG), welches bereits seit dem 1.10.2017 in Kraft ist, fertiggestellt. Das NetzDG verpflichtet Internet-Plattformen zu einem härteren Vorgehen gegen Hass, Hetze und Terror-Propaganda.

Gesetzesänderung soll bereits am 1. April 2020 umgesetzt werden

Die geplante Gesetzesänderung, die voraussichtlich am 1. April 2020 vom Kabinett beschlossen wird, soll es Nutzern sozialer Netzwerke in Zukunft erleichtern, Beschwerden einreichen zu können. Insbesondere soll die Möglichkeit einen rechtswidrigen Beitrag melden zu können, vereinfacht werden, indem komplizierte Klickwege vermieden werden. Die Möglichkeit zur Meldung von Beiträgen ist auf manchen Plattformen teilweise versteckt oder schwierig zu nutzen. So ist die Beschwerdemöglichkeit oftmals nicht vom Beitrag aus zugänglich, sondern kann nur über ein Meldeformular erfolgen, welches zuvor separat angesteuert werden muss.

Einführung eines Gegenvorstellungsverfahrens

Der Gesetzesentwurf umfasst ferner eine Änderung, die es betroffenen Nutzern sozialer Netzwerke in Zukunft erleichtern soll, gegen Entscheidungen der Anbieter von sozialen Netzwerken vorzugehen. Wenn ein Beitrag eines Nutzers vom sozialen Netzwerk gelöscht wurde, soll dem Nutzer ein Anspruch auf Überprüfung dieser Entscheidung gegen den Netzwerkanbieter zustehen.

Beispielsweise kann die Beschwerdefunktion genutzt werden, wenn ein Beitrag (ggf. zu Unrecht) vom Betreiber gelöscht wurde. Das BMJV will hierzu ein sog. „Gegenvorstellungsverfahren“ einführen.

Auch soll der Entwurf die Möglichkeit eröffnen, Konflikte zwischen Nutzer und Plattformbetreiber über private Schlichtungsstellen beizulegen. Nach Auffassung des Justizministeriums sollen Streitigkeiten dadurch schneller und kostengünstiger beendet werden können.

Anmerkung: Die Stärkung der Rechte von Nutzern sozialer Netzwerke ist durchaus zu begrüßen. Da es sich bei Streitigkeiten über den Inhalt von Social-Media-Beiträgen nicht selten um Bagatellfälle handeln wird, können diese mit etwas Kompromissbereitschaft beider Seiten leicht behoben werden. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Überlastung der Justiz, erscheint die Möglichkeit eines Schiedsverfahrens daher keine abwägige Idee zu sein. Es bleibt zu hoffen, dass das geplante Gesetzes-Update mit Nachdruck weiterverfolgt wird und nicht am 1.4.2020 als “Aprilscherz” untergeht.

 

Posted by Dr. Mathias Grzesiek in Cybercrime, Datenschutz